Peter Unfried, 2015 Ich habe noch nie gehört, dass jemand von sich sagt, er engagiere sich für Ausbeutung, Tierquälerei und Vernichtung von Lebensgrundlagen ganzer Gesellschaften. Dennoch tun es die meisten. Speziell auch Grünenwähler. Weil sie faktisch andere Prioritäten leben, als sie gesamtgesellschaftlich propagieren. Und weil sie Argumente gefunden haben, warum sie das tun. Es sind ernstzunehmende Argumente. Aber letztlich laufen sie auf Selbstverzwergung hinaus. Der westliche Mensch, der die Individualisierung so weit vorangetrieben hat, dass sich die ganze Welt um ihn zu drehen hat, stellt sich hin und sagt: Was kann ich kleiner Wurm schon tun?
Es stimmt: Ein ökologischer Lebensstil kann die Welt nicht verändern. Er kann das Gesellschaftssystem nicht ändern. Er kann etwas viel tiefer Greifendes: Man kann damit sich selbst verändern. Man kann aktiv in die eigene Gegenwart eingreifen.
Das fängt beim Kaufen an, das im wirklichen Leben der westlich geprägten Gesellschaften eine zentrale Rolle spielt. Sich konsumistisch zu emanzipieren – etwas kaufen, das Zukunft in sich trägt, weil es zur langfristigen Benutzung gemacht ist und nicht zum Wegschmeißen – ist auch politisch. Zunächst nicht im zu vergesellschaftenden Sinne, sondern als Selbstermächtigung. Die eigene Konsumwende und die eigene Energiewende sind ein Statement, mit dem man sein Verhältnis zur Gesellschaft und sein Werteportfolio neu definiert. Wenn man erst mal drin ist, ist «Mode» schnell ein dummes Konzept, Wärmedämmung eine kulturelle Selbstverständlichkeit, und etwas Schöneres als den Blick auf eine Wiese voller Windräder kann man sich nicht mehr vorstellen.
Gelebte Klimakultur ist nicht zu unterschätzen
Selbstverständlich darf man gelebte Klimakultur im privaten Rahmen nicht überschätzen. Das Müllproblem braucht Ordnungs- und Wirtschaftspolitik. Der Welthandel braucht faire Regeln und Arbeitsrecht. Die gesamtgesellschaftliche Energiewende und die Mobilitätswende brauchen einen politischen Rahmen. Der Kampf gegen den Klimawandel sowieso.
Nur darf man gelebte Klimakultur eben auch nicht unterschätzen, denn ohne sie wird es sozialökologische Politik nicht geben. Im Moment nutzen sowohl Politik als auch Gesellschaft die Lähmung des jeweils anderen Systems als Begründung, um selbst starr zu bleiben.
Entsprechende Lobbys der Profiteure des Alten unterstützen den Status quo mit den immer gleichen Argumenten. Dann kommt auch noch der linksmoralische Besserwisser und denunziert den Change im Mikrokosmos als Dummheit von politisch Ahnungslosen, die auf Greenwashing hereinfallen. Und der Sozialdemokrat im Wahlkampf-Modus geißelt die neue Kultur als Prestigekonsum von asozialen Leuten mit zu viel Geld, also Grünenwählern.
Das mag es auch geben, aber dieses Denken greift viel zu kurz.
Klimakultur ist auch der aktive Kampf für einen politischen Rahmen. Sie beinhaltet das Bewusstsein für die asozialen Folgen der in vielerlei Hinsicht wunderbaren Erfolgsgeschichte westlicher Gesellschaften. Dass andere Menschen die vergesellschafteten Schäden bezahlen müssen, mit Krankheit, Armut, Tod.
Nun will ich nicht auf die Tränendrüse drücken. Auch nicht ignorieren, dass Menschen zuerst an sich interessiert sind und dann an den anderen. Schon gar nicht, dass Menschen widersprüchlich sind.
Lebbare Modelle sind Modelle der persönlichen Inkonsequenz
Man kann das Beste daraus machen. Radikale Moral ist jenseits von Höhlen oder Klostern nicht lebbar, weshalb sie keine gesellschaftliche Kraft hat, sondern nur lähmend wirkt. Lebbare Modelle der Klimakultur sind Modelle der persönlichen Inkonsequenz. Sie überwinden die absurde Parallelexistenz von theoretischer Hochmoral und realem Scheißegal zugunsten einer provisorischen Moral. Das bedeutet nicht, dass man nie mehr im Leben einen Inlandsflug macht. Aber es bedeutet, dass man seine Mobilität weitgehend anders organisiert. Eine neue Kultur der Konsequenz in der Inkonsequenz ist das, was unter den Bedingungen der Realität einen quantitativen Fortschritt ermöglicht. Vor allem wird man selbst dabei größer und glücklicher. Wirklich wahr. Philosophisch gesehen ist es so: Wer sich selbst verändert, verändert seine Welt.
Peter Unfried ist Chefreporter der taz und Chefredakteur des Magazins „Futur zwei“.